(Artikel von Sebi: einloggen/ausloggen ist so mühsam…)
Ich hatte gelesen, das Chinesen das Volk der Händler wären und wir das der Handwerker. Gespannt auf 1.3 Milliarden neue Erfahrungen landeten wir gestern. Einreisekontrolle. Nein, ich habe kein Sars. Damit ich nicht ausversehen lüge, muss ich durch eine Thermokamera laufen, die meine Körpertemperatur ausliest. Laut deren Bildschirm hat die Person hinter mir 31.4 Grad. Fieber ist das sicher nicht, aber ich würd' so einen Zombie trotzdem nicht reinlassen. Mein erster echter Einheimischer: Beamter Nummer 131030. Kriegt vermutlich überdurchschnittlich viel Lohn dafür, das er grimmig guckt und auf jedes noch so freundliche Grinsen der Zugereisten mit dem immerselben festgefrorenen Lächeln quittiert. Ich krame meine Liste der Vorurteile hervor und mache einen Haken bei „Chinesen ziehen lautstark Schleim und Rotz hoch, um ihn dann mit dezibelstarker Wucht über die Nase herauszukomprimieren“. Der Chef von 131030 in seinem Häuschen scheint sein Geld neben grimmig gucken mit eben dieser Tätigkeit zu verdienen.
Beamter in der Matrix
Beamter 231982 hat den Job „Schief auf's Band gefallene Koffer gradezurücken und Kofferstaus zu verhinden“ abbekommen. Haken bei „In China trägt jeder, der kann, eine Uniform“. Einreise-Zollkontrolle fällt für Ausländer nicht an. Die Chinesen freuen sich anscheinend über alles, was wir mitbringen.
Wir werden von Marcos Cousin und Trevor aus der Firma abgeholt. In Deutschland würde ich sagen „… und fahren in die Stadt rein…“. Nach kurzer Zeit habe ich gelernt: Beijingist überall. Man ist drin. Es gibt kein reinfahren. Knapp 14 Millionen Chinesen würden sich auch nicht mit einer „Dorfmitte“ zufrieden geben, deswegen gibt es auch keine wirkliche Innenstadt. Und nochetwas verwundert mich: Beijing häutet sich. Es gibt keine Altstadt, keine Viertel mit vielen Historischen alten Gassen: Die Chinesen haben schon immer mit vergänglichem Holz und Bambus gebaut und selbst modernere Bauten werden an jeder Ecke abgerissen und neu aufgebaut. Die Chinesen bauen einfach unaufhörlich.
Der Chinamann um die Ecke….
Wir halten bei einem Restaurant. Wer meint, es gäbe in Deutschland chinesisches Essen, der irrt. 5 Leute betreten das Restaurant, 7 Angestellte wuseln um uns rum. Ich lege meine Jacke über meinen Stuhl. Wenige Sekunden später hat ein Angestellter einen Schonbezug übergestreift, damit ich mir nicht aus versehen die Jacke beschmutze. Mehrere Angestellte präsentieren Karte und Biersorten. Nach kurzer und freundlicher Diskussion werden die Mehrfachstäbchen gegen die hygienischeren Einmal-Holz-Stäbchen ausgetauscht. Ein grosser Drehteller wird mit verschiedenen Speisen beladen. Gebratenes Rindfleisch, Hühnchenstückchen in einem Riesenberg aus Chillischoten, Weisse Bohnen, ein etwas an Spinat erinnerndes gekochtes Stengelgemüse, Reis-Mett-Dim-Sum und vieles Leckeres mehr. Alles hat eine gewisse Grundschärfe, aber sehr angenehm. Szechuanküche, lecker. Ich nehme einen Schluck aus meinem Glas. Sofort erscheint aus dem nichts eine Angestellte, die es exakt bis zur Glaskante füllt. Ich notiere mental das leere Gläser vermutlich Unglück bringen. Marco schnappt sich ein Dim Sum. Die Teigtasche mit Mett-Gemüsefüllung landet auf seinem Tellerchen – und sofort materialisiert sich eine Angestellte aus dem Nichts. Es scheint ein Gesetz zur Erzielung optimaler Lukullischer Genüsse zu geben, dass vorschreibt dem zugereisten zur Hilfe zu eilen, sollte er suboptimal speisen. Die Angestellte mischt ohne weitere Nachfrage auf Marcos Tellerchen ein Mixtur aus Sojasosse, Chilliöl, etwas Sambal-Oelek ähnlichem und Weinessig zu einem optimal auf die Dim Sum abgestimmten Geschmackserlebnis. Anschliessend dippt sie das Dim Sum für ihn ein – Essen darf er selber. Ich nehme an, eine der Errungenschaften der Kulturrevolution. Vor Mao wäre er sicher gefüttert worden. Ich labe mich derweil an Rindfleischstreifen und Chili-Knusperhühnchen, und versuche so gut es geht meine Anfängerkenntnisse im Stäbchenessen zu kaschieren. Satt werde ich trotzdem. Am Ende bestellt der Fahrer noch eine Schüssel Reis – für Ihn zum Magenfüllen. Mein Magen wurde schon vorher ausreichend gefüllt. Satt und zufrieden gehen wir in einen Markt, um für den Pub von Marcos Co
usin Lachs zu kaufen.
Jeder Hygienebeauftragte in Deutschland würde schon beim ersten Atemzug einfach tot umfallen. Einige Fischsorten kann ich identifizieren, andere Sachen nicht. Seegurken erkenne ich grade noch, die zuckenden daumengrossen Larven, die in der Alien-Trilogie sicher eine Hauptrolle kriegen würden, sehen aus wie von einem anderen Stern. Nico und der Fischmann verhandeln lautstark. 14 Kilogramm Lachs sollen es sein, das ist ein ganzer, in zwei Hälften geteilter kopfloser Fisch. Der Händler präsentiert ein Paket mit fertig geschnittenem Lachs und legt es in die Tüte zum vorhandenen Risenfisch. Die Wortbrocken kann ich als Zahlen identifizieren. Eine zweite Tüte wandert zu den verkauften Waren, dann eine Dritte. Nico zeigt nun lautstark an, das er nicht mehr möchte. Der Händler feuert seinen Helfer an, schnell mehr zu produzieren. Nico bezahlt – immer ein Zeichen dafür das man mit dem Handeln langsam zum Ende kommen möchte. 550 RMB, also ca. 50 Euro kosten Nico insgesamt bestimmt 15 Kilo frischer Lachs. Beim rausgehen werden zum selben Preis noch zwei komplette Schinken mitgenommen. Hygienisch wird alles mehrfach in Müllsäcke verpackt. Grundregel: Nichts auf den Boden stellen. Wenn unser Planet eines Tages ausstirbt, werden chinesische Fischhallen sicher eine grosse Rolle in der Erschaffung neuer Spezies spielen.
Die Nation der Händler
Danach wieder Markt. Marco hatte mir geraten, nur die Klamotten die ich für die Reise brauche mitzubringen. Das von meiner Mutter vererbte grunddeutsche Sicherheitsbedürfnis weicht zwar oft jugendlichem Leichtsinn, aber trotzdem war ich nicht mehr als zwei T-Shirts, Socken, Unterhosen angereist. Eigentlich hasse ich Kleidungkaufen wie die Pest. Typisch Deutsch: Wenn du einen Verkäufer brauchst, ist keiner da oder noch deutscher: nicht zuständig. Wenn du keinen willst, umschwarmen sie dich als wenn es keine Zigaretten im Pausenraum mehr gäbe.
Tief in meinem Herzen bin ich zwar kein Klamottenkäufer, aber doch irgendwie auch Händler. Und einkaufen in China besteht zu 90% aus Handeln. Dabei ist es eigentlich fast irrelevant, um was für Ware man grade feilscht. Armani, Boss, Ralph Lauren, Nike: Die Chinesen drucken sich auf ihre Hemdchen, was sie für lustig halten oder wo der Tourist ein paar RMB mehr für raustut. Wobei an den Sachen nichts auszusetzen ist: Die Qualität ist super, viele Sachen werden ja hier vor Ort auch im Original hergestellt.
Kategorie: Einmal einkleiden für Fünfhundert.
500 RMB sind ca. 46 Euro. Dafür habe ich jetzt 3 Hemden (Armani, Boss, Ralph Lauren), 2 T-Shirts (Nike, Timbaland), 1 Calvin-Klein Jeans, 1 Levis Jeans, 2 Armani-Hosen, Nike&Ralph Lauren Socken, ein Timberland Pullover, 1 Armani-Gürtel, Unterhosenmix aus Calvin Klein, Ralph Lauren, Hilfiger und Armani. Ich werde hier zum Markenkind. Sogar die Original Zettelchen, Anhänger und Bommel sind überall dran. So macht einkaufen Spass. Als ich am „Schuhladen“ vorbeikomme, erkläre ich meinen jetzigen Tretern schonmal prophylaktisch, dass sie das Europäische Festland nie wiedersehen werden. Nike und Timberland für 12 Euro. 120 RMB sind allerdings Touristenpreise. Marco beherrscht schon soviel Chinesisch, das er die Händler zumindest immer bis zu dem Punkt kriegt, wo sie wortgewaltig erklären „WAS? Für DEN Preis kauf ich die Sachen bei DIR ein…“ – Das scheint das geheime Codewort für „Ok, dann eben nicht die Touristenpreise, verhandeln wir doch wie Chinesen…“ zu sein. Wobei der Unterschied zwischen Touristenpreisen und Chinesenpreisen gemessen am Gesamtpreisgefüge im Bereich des Lachhaften liegt. Als ich abends meine Sachen untersucht habe, (Ich hoffe ja noch auf einen Rechtschreibfehler auf dem Waschzettel oder Druck) konnte ich nichts Negatives entdecken. Alles sehr gute Qualität. 1.3 Mrd. Chinesen wissen schon, was sie tun.
Fazit: Der Chinese fälscht nicht, er kopiert. Wo in südeuropäischen Ländern billigste Rolex- und Armani-Imitate dem Touristen das Geld aus der Tasche ziehen sollen, kopiert der Chinesen zum Eigenbedarf. Wenn der Ausländer hier billig tolle Kleidung produziert, dann machen wir das eben auch. Noch billiger – aber genauso gut. Und wenn man das Markenlogo wieder draufdruckt, kann man die Sachen sogar noch zusätzlich an Touristen verkaufen. Ich mag Chinesen.
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